Griechenland – und unsere Verantwortung in Betrieben und Gewerkschaften

Wolfgang Räschke, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Salzgitter-Peine.

in: FaktenCheck:HELLAS Nr. 2, Mai 2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Aufruf „Griechenland nach der Wahl – Keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa“, der von allen Gewerkschaftsvorsitzenden und von den Vorständen der Gewerkschaften unterzeichnet wurde, macht noch einmal die Position und die Kritik der Gewerkschaften deutlich, dass die entscheidenden Bedingungen, unter denen die finanzielle Hilfen für Griechenland gewährt wurden, von Anfang an nicht die Bezeichnung „Reform“ verdient hatten. Die Milliarden, die nach Griechenland geflossen sind, wurden vor allem für die Stabilisierung des Finanzsektors verwendet, die kamen gar nicht bei den Menschen an. Die Banken wurden mit dem Sparpaket gerettet, aber nicht die Menschen.

Die Bruttoeinkommen der privaten Haushalte in Griechenland sind von 2008 bis 2012 um ein knappes Viertel gesunken und für fast die Hälfte des Rückgangs sind Lohnkürzungen verantwortlich. Bei der unteren Einkommenshälfte stieg die Steuerlast im Verlauf der Krise um 337 Prozent. Bei der oberen Hälfte nahm sie dagegen um nur 9 Prozent zu. Insgesamt hat 2012 fast jeder dritte griechische Haushalt mit einem Jahreseinkommen von weniger als 7000 Euro auskommen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, überprüft das mal für Euch selber. Das sind weniger als 580 Euro im Monat und nicht pro Person, sondern pro Haushalt und die Preise sind in Griechenland nicht anders als bei uns. Die ärmsten Haushalte haben fast 86 Prozent ihrer Einkommen verloren, die reichsten nur 17 bis 20 Prozent.

Der Binnenkonsum ist bereits komplett abgewürgt. Durch die hohe Arbeitslosigkeit sinken zudem die Steuereinnahmen. Wenn sich an den rigiden Sparmaßnahmen nichts ändert, dann wird sich das Land zu Tode sparen – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Beispiel ist das Gesundheitswesen. Seit die Krise das Land im Griff hat, ist die Säuglingssterblichkeit um 43 Prozent gestiegen. Massenweise wurden Ärzte und Krankenschwestern entlassen. Lebensrettende Medikamente fehlen.

Ja, Griechenland hatte eine Mitschuld an der Krise im eigenen Land – Korruption, Vetternwirtschaft, Bürokratie-Wahnsinn. Reiche und Superreiche die keine Steuern zahlen – all dies muss die neue Regierung angehen. Aber dass am Ende die bezahlen müssen, die am wenigsten dafür können, dürfen wir einfach nicht zulassen! Von daher ist der Hinweis von Finanzminister Wolfgang Schäuble, dass es keinen Vorwand geben darf, „die unangenehmen Entscheidungen, die man treffen muss, nicht zu treffen“, gerade im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen in Griechenland menschenverachtend. Denn eins ist klar: in Griechenland sterben Menschen, weil sie sich die Behandlung beim Arzt nicht mehr leisten können.

Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, als die Troika das letzte Mal vor dem Regierungswechsel in Griechenland war, zeigte sie sich noch „zufrieden“ – das war sicherlich dem Wahlkampf gegen Syriza geschuldet, aber heute muss man sich schon fragen: zufrieden womit? Damit, dass es in Griechenland wieder Malaria-Tote gibt? Oder zufrieden mit der Verdreifachung der Selbstmordrate, die jahrelang die niedrigste in Europa war? Ist die Troika vielleicht zufrieden mit der Arbeitslosigkeitsquote von 27 Prozent? Oder mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 70,6 Prozent in der griechischen Region Mazedonien? Ist die Troika zufrieden damit, dass Eltern ihre Kinder in SOS-Kinderdörfern abgeben, weil sie sie nicht mehr ernähren können?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist die aktuelle Situation in Griechenland, die tagtäglich zu Toten führt und von daher war es richtig von Syriza, als erstes ein Gesetz mit Maßnahmen gegen die Armut zu beschließen. Als Gewerkschafter können wir feststellen – sie sind auf dem richtigen Weg und wir sollten ihnen nun auch die notwendige Zeit geben. Was auf keinen Fall passieren darf: Europa darf nicht auf der Fortsetzung einer Politik zu Lasten der Bevölkerung beharren, die von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler unmissverständlich abgelehnt wird. Ein „Weiter so“ darf es aus Sicht der Gewerkschaften nicht geben!

 Es handelt sich bei dem Text um einen Auszug aus einer Rede, die er am 25. März auf der Betriebsversammlung von VW-Salzgitter hielt.